Twisters von Lee Isaac Chung ist eine Neuinterpretation des wesentlich klassischeren Twister (1996). Dieser ist vor allem (und vielleicht sogar ausschließlich) durch seine ikonische Szene einer durch die Luft geschleuderten Kuh in Erinnerung geblieben. Chung, der eigentlich für sein sanftmütiges Migrations-Märchen Minari (2020) bekannt ist, nimmt sich so eine beinahe weiße Leinwand, um das Tornado-Narrativ neu aufleben zu lassen.
So stürmisch wie er dabei ist: Twisters ist kein Katastrophenfilm – auch wenn er gerne so tut, wäre er einer. Vielmehr ist der Film eine Beobachtung einer Kultur der Storm Chaser, ein sehr reales Phänomen, welches seinen Gegebenheiten entsprechend Zerstörung abbilden muss. In Momenten, in denen der Film ins Chaos kippt, findet er ausgesprochen schöne Bilder für die so zerstörerischen Tornados. Als Zuschauer*in kann man nicht anders, als sich von der Ästhetik um den Finger wickeln zu lassen, bis man durch die sehr realen Folgen dieser Schönheit aus seinem Traum geweckt wird.
Twisters hätte auch eine Romanze sein können. Ein weiteres Abziehbild der durch äußere Umstände verhinderten Liebe. Während der Film diesbezüglich weitgehend steril bleibt und die Wirbelstürme attraktiver inszeniert werden als die Körper aus Fleisch und Blut, wird die Libido vom Winde verweht.
Im Film Nightcrawler (2014) wird der Protagonist Louis Bloom (Jake Gyllenhaal) zur Verkörperung der alles verschlingenden Marktstruktur. Als freier Fotograf werden seine Schnappschüsse von Autounfällen nur gekauft, wenn er diese als erstes zeitnah liefern kann. Diese Freiheit des Marktes dreht der Film meisterhaft auf den Kopf, bis Louis vollkommen abseits jeglicher Moral handelt und z.B. selbst Unfälle verursacht. Thematisch ist Twisters wie Nightcrawler, nur dass Chungs Film Verkehrsunfälle mit Tornados ersetzt. Die Hektik und die Emphase auf den rasanten Sprints zu den Tornados bzw. Verkehrsunfällen sind identisch.
2012 (2009), Geostorm (2017), Moonfall (2022): Katastrophen-Filme (vor allem unter der Regie von Roland Emmerich) sind meist Familientherapie, in der die Welt untergehen muss, damit Ex-Frau wieder zu Ex-Mann findet. Kurz gesagt, die Familie als kleinste gesellschaftliche Einheit wird propagandistisch an die Spitze der sozio-ökonomischen Nahrungskette gestellt. Nebenbei pulsiert der Glanz der klassischen Helden, samt Opferbereitschaft und vorwiegend misogynen Rollenbildern, ein letztes Mal spektakulär auf. Doch seit einiger Zeit leben wir in „postheroischen“ Zeiten. Der Begriff des „Post-Heroismus“ ist maßgeblich von Politikwissenschaftler Herfried Münkler geprägt. Unser Herz schlägt nicht mehr schneller, wenn sich ungefragt jemand in den Tod stürzt; die Entmündigung des „Rettens“ wird sichtbarer. Gar ist die Bereitschaft „für sein Vaterland zu sterben“ geringer geworden. Und das ist gut so. Unter schlechtem Licht betrachtet sind Katastrophenfilm nicht mehr als Helden-Pornografie. Wofür brauchen wir dann den Katastrophenfilm? Twisters hingegen liefert eine präzise Antwort auf diese Frage. Wir brauchen die Katastrophe als Exzess, sogar als Selbstzweck, doch sterben muss niemand. Chung schaut in das stille Auge des Sturms und findet dieselbe Aufmerksamkeitsökonomie, wie es Nightcrawler tat.
Während Twisters die Kamera auf das Ding an sich richteten, zeigte der Film Nope (2022) von Jordan Peele den exakt umgekehrten Versuchsaufbau. In diesem flog ein UFO durch die Luft, dessen Wolken-ähnliche Luken zur sinnbildlichen Kamera wurden. Was kann eine Kamera einfangen? Welche Macht steht hinter dem Filmen? All das beobachtet Nope aus der Vogelperspektive. Twisters erreicht zwar zu keinem Zeitpunkt die thematische Klarheit von Nope, doch versucht auch er, die Kamera als Macht-Objekt einzuordnen. Neben dieser Hypothetizität erlaubt Twisters sich Spaß an der Zerstörung; spätestens als ein Tornado Feuer fängt und der Film einen stolz eine „Feuer-Tornado“ präsentiert (was diesen logischerweise größer und gefährlicher macht), dürfte auch jeder Genre-Film-Fan begeistert sein.
Kinematografisch erkennt man lediglich an den körnigen Naturaufnahmen, dass Regisseur Chung am Werk ist. In Dialogen oder dem Dies-und-das der Charaktere schmiegt sich der Film an jeden x-beliebigen Hollywood-Blockbuster an. Neben den beiden Protagonist*innen Kate und Tyler entsteht kein Raum für weitere Figuren. Die obskuren Sturmjäger, mit denen sich Tyler umringt und die ohne jeden Zweifel aus dem Mad Max Universum stammen könnten, wird kaum gearbeitet.
Der Phallus des Sturms sieht zwar beängstigend aus, doch lässt er sich mit Wissenschaft zähmen. Zuletzt geht man begeistert aus dem Kino, denn Twisters ist ein Film, der wie gemacht für diesen Raum ist. Lautes Poltern und Kreischen der umherrassenden Zerstörung werden zum dumpfen Bass der Lautsprecher. Der Film hat Substanz, neben einigen handwerklichen und schauspielerischen Malheuren liefert er eine Neuinterpretation der Katastrophe, in der nicht der lebensmüde Held, sondern die nüchterne Wissenschaft zum Retter wird.